Der Fehlbiss im Sinne von Zahn- oder Kieferfehlstellungen ist ein sehr häufiges Problem, das jedoch in unterschiedlich starker Ausprägung auftritt. Dies liegt vor allem daran, dass es viele unterschiedliche Arten und Formen von Fehlstellungen gibt, die jeweils eine mehr oder weniger starke funktionelle oder ästhetische Symptomatik und Einschränkung mit sich bringen. Nicht jede Fehlstellung ist automatisch behandlungsbedürftig, eine Abklärung sollte dennoch erfolgen, um mögliche bereits stattgefundene oder zu erwartende Folgen und Komplikationen einschätzen zu können.
Was ist ein Fehlbiss?
Als Fehlbiss (Dysgnathie) wird eine Veränderung der üblichen Stellung von Unter- und Oberkiefer beziehungsweise der einzelnen Zähne zueinander bezeichnet. Dabei gibt es viele unterschiedliche Formen des Fehlbisses, je nachdem welche Fehleinstellung vorherrscht. Beim normalen Biss stehen die jeweiligen gepaarten Schneide-, Eck- und Backenzähne der beiden Kieferteile zueinander, wobei der Oberkiefer den Unterkiefer ein wenig überragt, sodass beim geschlossenen Mund und Lockerlassen der Muskulatur die obere Zahnreihe vorne liegt. Diese Einstellung möglich den optimalen Kaufvorgang und verursacht keinen Schaden an den Zähnen, da diese jeweils mit den konvex-konkaven Flächen aneinanderliegen und -gleiten.
Was sind Merkmale eines Fehlbisses?
Unabhängig von der Ursache und der genauen Art des Fehlbisses haben Betroffene vor allem mit zwei Symptomen beziehungsweise Merkmalen des Fehlbisses zu kämpfen: Folge ist immer eine so genannte Malokklusion, also eine Diskrepanz im Kontakt der einzelnen Zähne zueinander, was mit beträchtlichen Einschränkungen im Kau- aber auch im Sprechvorgang einhergehen kann. Dabei werden die Zähne durch den chronisch „falschen“ Kontakt zueinander unphysiologisch abgerieben und erfahren in Folge Schäden und Abnutzungserscheinungen an der Krone.
Zum anderen steht für Betroffene häufig vor allem die ästhetische Komponente im Vordergrund, da der Fehlbiss je nach Ausprägung zu einem optischen Makel wird. Man kennt es unter anderem auch durch Ausdrücke wie „Pferdegebiss“ und ähnlichem.
Je nachdem wie stark ausgeprägt die Fehlstellung beziehungsweise der Fehlbiss ist, kann es auch zu weiteren vor allem funktionellen Beschwerden kommen wie Kiefergelenksbeschwerden im Sinne einer erhöhten Abnutzung, Gelenksknacksen oder Einschränkungen beim Öffnen und Schließen des Mundes, Kopf- und Nackenschmerzen, Schnarchen, Schlafapnoe oder Migräneattacken. Da auch der Kaufvorgang gestört sein kann, für die richtige Verdauung der Nahrung aber die Zerkleinerung in der Kieferhöhle ein sehr wichtiger Faktor ist, können auch Störungen im Magen- Darm-Bereich auftreten.
Welche Arten von Fehlbissen gibt es?
Der Begriff „Fehlbiss“ ist ein Überbegriff für viele unterschiedliche Formen von Anomalien im Bereich des Gebisses. Diese umfasst nämlich beide Oberkieferteile (Oberkiefer = Maxilla, Unterkiefer = Mandibula) sowie alle 28 – beziehungsweise inklusive Weisheitszähnen – 32 Zähne. Grundsätzlich können daher dentoalveoläre von skelettalen Formen unterschieden werden. Bei den dantoalveolären liegt die Anomalie im Bereich des Alveolarfortsatzes, also dem Knochenfächer, in dem der Zahn befestigt ist. Dadurch kommt es zur Fehlstellung des betroffenen Zahns. Skelettale Ursache meinen die Kieferknochen und deren Lagebeziehung zueinander beziehungsweise zum Schädel. Weitere Unterscheidungen im Rahmen der Dysgnathie beziehen sich auf die Fehlstellungsrichtung. Alle drei Dimensionen der Ausrichtung können hierbei betroffen sein.
Die wohl häufigsten Fehlbissformen sind der Über- und Unterbiss.
Beim Überbiss ist der Oberkiefer im Verhältnis zum Unterkiefer zu groß, wodurch er vorsteht. Die Zahnreihen sind so verschoben, dass sie nicht optimal ineinandergreifen und auch die Gesichtsform erscheint verändert.
Beim Unterbiss liegt das genaue Gegenteil vor, der Unterkiefer ist im Verhältnis zum Oberkiefer länger, somit steht die untere Zahnreiche hervor.
Vom sogenannten Kreuzbiss spricht man, wenn die Höcker und Grübchen der Backenzähne nicht optimal ineinandergreifen. Dies geschieht, wenn die seitlichen Zähne des Oberkiefers zu weit nach innen oder die seitlichen Zähne des Unterkiefers zu weit nach außen stehen.
Dem offenen Biss hingegen liegt ein Ungleichgewicht zwischen vorderen und hinteren Zähnen, zwar liegen die Backenzähne bei geschlossenem Kiefer richtig aufeinander, jedoch berühren sich die Schneide- und Eckzähne nicht, wodurch die vordere Zahnpartie immer geöffnet erscheint.
Wie kommt es zu einem Fehlbiss?
Meist sind Kiefer- und Zahnanomalien auf angeborene Ursachen zurückzuführen, es gibt aber auch erworbene Fehlbisse, die sich erst im Laufe der Kindheit oder des Jugendalters ausbilden.
Angeborene Ursachen:
- Die Größe von Kieferknochen und Zähnen beziehungsweise ihr Verhältnis zueinander ist ein wichtiger Faktor in Entwicklung des richtigen Gebisses. Knochenform und -wachstum unterliegen bis zu einem bestimmten Grad den genetischen Anlagen, daneben sind auch Hormone, Ernährung und der Elektrolythaushalt entscheidende Parameter. Eine Überentwicklung einer der beiden Kieferteile aber auch ein Missverhältnis von Kiefer- und Zahngröße zueinander begünstigen die Entwicklung eines Fehlbisses.
Erworbene Ursachen:
- Habits: auch habituelle Faktoren, also bestimmte regelmäßige Verhaltensweisen, spielen eine wichtige Rolle und können zur Ursache von Stellungsabweichungen der Zähne und des Kiefers werden. Dazu gehören vor allem ein sehr ausgeprägtes Fingerlutschen oder Lutschen am Schnuller, da hier unverhältnismäßig viel Druck ausgeübt wird, dem der junge Kiefer nicht standhält. In der Kindheit gehören häufiges Zähneknirschen oder Kaugummikauen zu solchen schlechten Angewohnheiten, die einen Fehlbiss auslösen können.
- Zahnverlust: der Verlust eines Zahns ohne, dass die Lücke dementsprechend gefüllt wird, bewirkt häufig ebenfalls eine Veränderung der Kieferkonstitution. Grund hierfür ist, dass zum einen die an die Lücke angrenzenden Zähne deutlich mehr Platz bekommen und sich zu verschieben beginnen, zum anderen beim Kaufvorgang die Drücke auf den Kiefer anders verteilt sind, wodurch hier ebenfalls Veränderungen stattfinden.
- Hormonelle Ursachen: Erkrankungen wie die Akromegalie gehen mit einem überschießenden Knochenwachstum einher, dass sich zwar nicht nur an den Kieferknochen, sondern in erster Linie an den Knochen der oberen und unteren Extremitäten zeigt, doch es auch hier in Folge der Erkrankung zu deutlichen Stellungsanomalien kommen kann.
- Vitamin-Mangelerscheinungen: ein chronischer Vitamin-D Mangel bewirkt eine reduzierte Mineralisation des Knochens und damit den Verlust von Knochensubstanz. Die knöchernen Strukturen werden porös, schrumpfen und neigen zu Frakturen. Sowohl die Kieferknochen selbst als auch die Zähne sind betroffen, letztere werden brüchig und anfällig für Karies. Die beschriebenen Veränderungen in Rahmen eines chronischen Vitamin-D Mangels betreffen allerdings alle Knochen des Körpers und nicht nur den Kiefer. Im Kindesalter wird der chronische Vitamin-D Mangel unabhängig von dessen Ursache, als Rachitis bezeichnet.
Wie diagnostiziert der Arzt einen Fehlbiss?
Ansprechpartner bei einem Fehlbiss ist in erster Linie der Zahnarzt, am besten mit kieferorthopädischer Spezialisierung. Dieser wird im Rahmen einer klinischen Untersuchung und mithilfe einer bildgebenden Untersuchung (Röntgenaufnahme) feststellen, welche Art von Fehlbiss vorliegt und wie ausgeprägt dieser ist. Kieferorthopädische Maßnahmen – also die Behandlung mittels Schiene oder Zahnspange – kann der Kieferorthopäde in die Wege leiten. Liegt eine gröbere Fehlstellung vor, die einer operativen Behandlung bedarf, wird auf einen Kieferchirurgen verwiesen.
Wie wird ein Fehlbiss behandelt?
Die Behandlung richtet sich vor allem danach, wie stark ausgeprägt die Fehlstellung ist, welche Folgekomplikation bereits vorliegen und welche Art von Fehlstellen vorliegt.
- Zahnregulierung: Ist der Kieferknochen intakt und normal ausgeprägt, handelt es sich eigentlich um eine Fehlstellung der Zähne, so ist meist eine Zahnregulierung Mittel der Wahl. Hierbei stehen unterschiedliche Systeme zur Auswahl, die je nachdem wie stark ausgeprägt die Fehlstellung ist, vom Spezialisten individuell ausgewählt werden. Zur Auswahl stehen die sogenannten Aligner oder aber die unterschiedlichen Arten von Zahnspangen.
Unter Aligner werden durchsichtige Kunststoffschienen bezeichnet, die sich zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Zahnfehlstellungen. Sie werden speziell und individuell für das eigene Gebiss angefertigt und dann alle circa zwei Wochen so modelliert, dass sich eine Änderung der Fehlstellung ergibt. Die Schienen sind herausnehmbar und müssen wie auch Zahnspangen über einen längeren Zeitraum von mehreren Monaten bis Jahren getragen. - Kieferumstellungsoperation: dabei handelt es sich um einen chirurgischen Eingriff, bei dem der Knochen mobilisiert und dann so angepasst wird, dass die Diskrepanz zwischen Ober- und Unterkiefer aufgehoben wird. Der Knochen wird in seiner neuen Position mittels Platten und Schrauben fixiert. Die Planung dieses recht umfangreichen Eingriff erfolgt heutzutage digital, sodass jeder Schritt und auch das zu erwartende Endergebnis vorab visualisiert werden können.
Was sollte vor der OP beachtet werden?
Vor der Operation hat eine sehr sorgfältige Planung zu erfolgen, sodass der Eingriff reibungslos ablaufen kann. Häufig müssen daher vor der eigentlichen Operation einige Vorbereitungsschritte erfolgen. Dazu gehören gelegentlich die Entfernung von Weisheitszähnen oder aber das Tragen einer Zahnspange über eine gewisse Zeitspanne, sodass die Zähne nach der Operation in adäquater Position zueinanderstehen. All dies kann jedoch erst im Rahmen der Planung des Eingriffs festgelegt werden. Die Planung erfolgt gemeinsam mit einem Team aus Kieferorthopäden und Kieferchirurgen, die gemeinsam die für Dich optimalste Methode erarbeiten werden. Im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs werden Dir der genaue Ablauf der Operation, mögliche Risiken und Komplikationen sowie die notwendigen Maßnahmen im Rahmen der Nachsorge besprochen. Hierbei hast Du die Möglichkeit etwaige Fragen und Bedenken zu klären, um optimal auf den Eingriff vorbereitet zu sein. Da der Eingriff und Vollnarkose erfolgt, muss zudem ein Gespräch mit einem Anästhesisten stattfinden, der feststellt, ob eine Narkose infrage kommt, beziehungsweise welche vorbereitenden Maßnahmen getroffen werden müssen (beispielsweise das Absetzen von Medikamenten).
Wie ist der Ablauf einer Fehlbiss OP?
Die Operation selbst erfolgt durch einen Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen im Rahmen eines stationären Aufenthaltes in einer spezialisierten Klinik.
Der Eingriff wird unter Vollnarkose durchgeführt und dauert je nach Umfang und Komplexität zwischen zwei bis vier Stunden. Der Zugang zum Operationsgebiet erfolgt in der Regel über die Mundhöhle. Je nachdem, ob Ober- oder Unterkiefer oder beide Knochen reponiert werden müssen, werden die knöchernen Strukturen freigelegt und durchtrennt, sodass sie in der neuen Position wieder zusammengesetzt werden können. Die Verbindung erfolgt durch Titanplatten, die in den Knochenteilen verschraubt werden und die optimale Aneinanderheilung ermöglichen. Die Metallplatten können in einem weiteren kleineren Eingriff nach ca. 9 Monaten wieder entfernt werden. Zu diesem Zeitpunkt sind die Kieferteile so verheilt und zusammengewachsen, dass keine Lockerung oder Verlagerung mehr geschehen kann.
In den ersten Tagen nach der Operation verbleibst Du stationär, sodass eventuelle Nachblutungen, postoperative Schmerzen oder andere postoperative Komplikationen rasch erkannt und behandelt werden können. Die erste Nachkontrolle erfolgt nach ca. 10 Tagen, hierbei werden auch die Nähte entfernt.
Was muss nach der OP beachtet werden?
Auch wenn es sich um einen sehr komplexen und invasiven Eingriff handelt, der einige Wochen an Heilung und Schonung in Anspruch nimmst, kannst Du meist schon in den Stunden nach der Operation Deinen Mund wieder öffnen. Mit gewissen Einschränkungen ist auch die Nahrungsaufnahme schon bald wieder möglich, jedoch solltest Du darauf achten, in den ersten 4-6 Wochen nach der Operation nichts zu kauen, sondern auf weiche oder breiige Nahrung auszuweichen. Abgesehen davon ist ein absoluter Rauchverzicht sowie eine körperliche Schonung in den ersten 2-3 Wochen unerlässlich. Eine Arbeitsfähigkeit ist auch erst nach dieser Zeit wieder gegeben.
Welche Risiken und Nebenwirkungen sind möglich?
Die Risiken und Komplikationen sind bei detaillierter Planung und optimaler Durchführung sehr gering. Durch eine computergestützte 3-D Modellierungsplanung können alle Bereiche visualisiert werden, sodass der behandelnde Chirurg ganz genau einschätzen kann, wo welche Nerven und Blutgefäße liegen und wo welche Schnitte zu setzen sind. So kann der Ablauf Schritt für Schritt vorbereitet werden. Dennoch lassen sich mögliche Risiken wie postoperative Schmerzen, Schwellungen oder Nachblutungen nicht hundertprozentig vermeiden, diese können jedoch im Rahmen des stationären Aufenthaltes gut behandelt werden. Auch Gefühlsstörungen im Bereich der Lippen sind nach der Operation sehr häufig und können auf die Irritation des umliegenden Gewebes und der Nerven zurückgeführt werden. Sobald die Schwellungen zurückgehen, lassen auch die Kribbelparästhesien nach.